Ulm, 15. November 2018 – Zum Artikel „Was kann der deutsche Ingenieur?“ in der Wochenzeitung DIE ZEIT erklärt der Ingenieur, Berater und Unternehmensgründer Joachim Lang:
Der Artikel thematisiert unter anderem den Diesel-Skandal und die so genannte Schummel-Software, die technisch versierte Ingenieure entwickelt und de facto für den Einbau in Fahrzeugen zur Verfügung gestellt, dies aber zumindest nicht verhindert haben. Was bewegt Ingenieure, so etwas zu tun? Tragen Techniker neben der technischen auch eine moralische oder ethische Verantwortung? Muss sich wirklich – wie es in dem ZEIT-Dossier heißt, „ein ganzer Berufsstand fragen lassen, ob er der Gesellschaft mehr schadet, als er ihr nützt“?
Alle Technik basiert auf den Grundgesetzen der Naturwissenschaften. Jeder Ingenieur lernt diese Komplexität zu verstehen und zu beherrschen, Probleme zu analysieren und Lösungen für die jeweiligen Probleme zu finden oder zu entwickeln. Das machen Ingenieure seit Jahrzehnten. Doch seit einigen Jahren bewegen wir uns auf einen Zielkonflikt zu. Einerseits empfinden viele Politiker und Interessengruppen die Möglichkeiten der Ingenieure als „unbegrenzt“ und erhöhen mit Richtlinien und Grenzwerten permanent die qua technologischer Entwicklung zu überspringenden Hürden. Andererseits will man Vollbeschäftigung, Gesundheit für die Gesellschaft, sichere Arbeitsplätze, hohe Löhne und sprudelnde Steuern.
Das funktioniert nur eine Weile. Bei nahezu jeder Entscheidung, die Unternehmer treffen, müssen sie mittlerweile sicherheitshalber einen Anwalt, einen Gutachter und einen Steuerberater fragen, da viele die markt- und arbeitsrechtliche, politische und gesellschaftliche Komplexität nicht mehr überblicken. Die dadurch entstehenden Kosten will verständlicherweise niemand tragen.
Ich verstehe jeden Ingenieur, der um der Sicherung seines Arbeitsplatzes willen mal ein Auge zudrückt und eine Regel zu seinen Gunsten auslegt. Wohlwissend, dass er dabei oft mit einem Bein im Gefängnis steht. Für Mitarbeiter staatlicher Behörden oder staatlicher Firmen, für Beamte und die Mehrzahl unserer Politiker ist solches Denken fremd, da sie sich um ihren Arbeitsplatz keine Sorgen machen müssen.
Es geht nicht immer um Moral und Ethik, sondern manchmal einfach um den gesunden Menschenverstand, der mir sagt, dass viele Gesetze und Verordnungen von Menschen entworfen werden, die fernab der technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität leben. Sehr viele Regelungen aus den letzten Jahren – bis hin zur zeitlichen Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung – haben mit dem Prozess einer technischen Entwicklung und mit dem Umsetzen Ingenieur-wissenschaftlicher Expertise in ein für Wirtschaft, Gesellschaft oder Umwelt nutzenbringendes Produkt nichts zu tun.
Nein, der Ruf des Ingenieurs ist nicht per se ruiniert und unser Berufsstand wird immer mehr nützen, als schaden. Aber die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen müssen wieder so gestaltet werden, dass Ingenieure Probleme analysieren und im Sinne von Mensch und Umwelt geeignete Lösungen entwickeln können.